Fünf Jahre nach den Anschlägen von Paris: Frankreich treibt europäische Anti-Terror-Maßnahmen an

13 November 2020

Auf den Tag genau vor fünf Jahren starben mehr als 130 Menschen mitten in Paris und seinen Vorstädten als Folge eines koordinierten Terroranschlags, zu dem sich die Terrormiliz “Islamischer Staat” bekannte.  Nachdem Frankreich erneut von mehreren Anschlägen heimgesucht wurde, erscheint eine europäische Koordinierung notwendiger denn je.

Die Organisation der europäischen Reaktion. Dies ist die Parole des Präsidenten der französischen Republik Emmanuel Macron, der am Dienstag, den 10. November, von Wien und Berlin auf einem Mini-Gipfel ihre volle Unterstützung zugesagt bekommen hat. Frankreich, das in den letzten Wochen vor diesem traurigen „Jahrestag“ der Anschläge vom 13. November 2015 von mehreren Terroranschlägen heimgesucht wurde, hat sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, die Umsetzung verschiedener Anti-Terror-Maßnahmen auf europäischer Ebene zu beschleunigen.

Nach dem Anschlag vom 2. November in Wien haben auch Deutschland und Österreich bei einem „Mini-Gipfel“ ihren Willen bekundet, die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zu verstärken. Emmanuel Macron und Sebastian Kurz trafen sich im Elysée-Palast, während die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, die Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates Ursula von der Leyen und Charles Michel (virtuell) am Gipfel teilnahmen.

Frankreich, Deutschland und Österreich haben bei einem „Mini-Gipfel“ am Dienstag ihren Willen bekundet, die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zu verstärken. Sie forderten unter anderem eine Reform des Schengenraums und direkte Maßnahmen gegen (potenzielle) ausländische Kämpfer.

Schengen-Reform als Priorität

Die Entwicklung gemeinsamer Datenbanken, die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Polizeikräften, die Stärkung des Strafrechtssystems, die Vervollständigung des PNR-Systems (Fluggastdaten) sind nach Ansicht des französischen Präsidenten wesentliche Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus. „Jede Verletzung der Sicherheit an der Außengrenze oder in einem der Mitgliedsstaaten stellt ein Sicherheitsrisiko für alle EU-Migliedsländer dar“, machte Macron deutlich.

Macron deutete ebenfalls an, dass Frankreich „in den nächsten Tagen“ ein Projekt zur Reform des Schengen-Raums vorschlagen werde. „Der Kampf gegen die illegale Einwanderung darf nicht mit dem Kampf gegen den Terrorismus verwechselt werden, aber wir müssen die Verbindungen zwischen den beiden Phänomenen klar erkennen“, betonte er und erinnerte daran, dass das letzte Attentat in der südfranzösischen Stadt Nizza von einem tunesischen Staatsangehörigen verübt wurde, der über Italien illegal nach Europa eingereist ist.

Die Freizügigkeit ist nach wie vor „eine der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Union“, aber sie beruht auf „einem Versprechen zum Schutz der Außengrenzen, das nicht ausreichend erfüllt wurde“. „Wir haben es im Frühjahr im Zusammenhang mit der Pandemie gesehen, wir sehen es heute beim Terrorismus“, fügte Macron hinzu.

Der französische Staatschef forderte auch die Schaffung eines „echten Rats für innere Sicherheit“ und will dem Missbrauch des Asylrechts, der nach seinen Worten in allen europäischen Ländern zu beobachten ist, ein Ende setzen.

Im Kampf gegen Terrorismus soll die EU enger zusammenarbeiten, fordern Deutschland und Frankreich. Am wichtigsten wäre der offenere Austausch von Geheimdienstinformationen. Doch die Staaten misstrauen einander.

Endogene Bedrohungen

Bei seiner Anhörung am Donnerstag, dem 12. November, im Senat äußerte der seit 2007 amtierende Koordinator der Europäischen Union für die Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove, seine Auffassung, dass die Bedrohung heute größtenteils endogen ist; die Gefahr geht von Menschen aus, die in Europa leben und keine formalen Verbindungen zu den Terrorgruppen Daesh (Islamischer Staat) oder Al-Qaida haben, aber von deren Ideologie inspiriert sind.

„Daesh hat heute nicht mehr die Mittel und die Fähigkeit, Angriffe zu planen, wie sie es im Bataclan oder in Brüssel tun konnten. [Es gibt] jedoch zweifellos den Willen [dazu], und die Organisation ist weit davon entfernt, völlig zerschlagen zu sein, wenn wir uns die Verbreitung von Franchise- und Regionalgruppen [der Terrormiliz] ansehen.“

Seinen Angaben zufolge findet die Radikalisierung mittlerweile hauptsächlich im Internet und im Gefängnis statt. „Es gibt etwas Spontaneres, was es den Nachrichtendiensten umso schwerer macht, Angriffe zu verhindern“, räumte de Kerchove ein.

Der Koordinator warnte auch vor den „mehreren hundert europäischen Männern, Frauen und Kindern, die [für Daesh in Syrien und dem Irak gekämpft haben, verhaftet wurden und nun] von den Kurden unter entsetzlichen Haftbedingungen festgehalten werden, wo sich eine Radikalisierung entwickeln könnte“.

Bei einem Messerangriff in Nizza sind in der Nähe der Kathedrale drei Personen getötet worden.

Die Mitgliedsstaaten lehnen derzeit eine gemeinsame europäische Position in der Frage der Rückführung ab. In diesem Fall bleibt die französische Regierung vorerst bei ihrem Standpunkt, dass die Kämpfer vor Ort vor Gericht gestellt werden müssen. Derzeit laufen Verhandlungen mit dem Irak.

Mehrere Politiker sprachen sich dafür aus, diese Personen in Frankreich vor Gericht zu stellen, insbesondere um ihre Überwachung zu vereinfachen.

„Während wir darauf warten, dass sich eine Lösung abzeichnet, müssen wir in der Lage sein, den Radikalisierungsprozess in diesen Lagern einzudämmen, insbesondere im Hinblick auf Kinder“, forderte de Kerchove. „Damit sie nicht mit Hass im Herzen nach Frankreich zurückkehren“. 

Nach den Ende Oktober vom Egmont-Institut veröffentlichten Zahlen waren zwischen 150 und 200 französische Dschihadisten – etwa 60 Männer und 80 Frauen – in Syrien inhaftiert und zwischen 200 und 250 Kinder. Vierzehn Personen wurden im Irak festgenommen. Nach anderen von France 3 übermittelten Zahlen waren im Januar noch 150 französische Dschihadisten auf freiem Fuß, 335 galten als vermisst.

Freiwillige Maßnahmen nicht mehr ausreichend

Die Europäische Union wird sich auch mit dem Problem des Hasses im Internet, einem zentralen Kanal für die Verbreitung terroristischer Propaganda, auseinandersetzen müssen. Vor mehr als zwei Jahren wurde ein Gesetz vorgeschlagen, das sicherstellen soll, dass terroristische Inhalte innerhalb einer Stunde aus dem Internet entfernt werden.  „Das Europäische Parlament und der Rat verhandeln noch immer über den Gesetzestext. Wir drängen sie, schnell zu einer Einigung zu kommen“, sagte die Kommission gegenüber EURACTIV Frankreich.

Während unter anderem Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Meinungsfreiheit den Prozess verlangsamen, ist der französische Präsident der Ansicht, dass die Verordnung „unbedingt in den kommenden Wochen verabschiedet werden muss“.

Im Jahr 2015 rief die EU-Exekutive das EU-Internetforum ins Leben, an dem Regierungen, Europol und große Technologie- und Social-Media-Unternehmen beteiligt sind. Einige von ihnen hatten sich verpflichtet, an diesen Angelegenheiten zu arbeiten, jedoch auf freiwilliger Basis.

Eine Hash-Datenbank, ein System zur digitalen Erfassung von Fingerabdrücken hasserfüllter Inhalte, um deren Wiederauftauchen zu verhindern, war entwickelt worden und enthält derzeit mehr als 300.000 Videos und Bilder von Terroristen.

„Diese Maßnahmen haben zu positiven Ergebnissen geführt, aber sie reichen nicht aus“, heißt es aus Brüsseler Regierungskreisen.

Ein ideologischer und theologischer Krieg

Während Charles Michel am 9. November die Schaffung eines Europäischen Instituts für die Ausbildung von Imamen forderte, hatte der französische Präsident Macron Anfang Oktober das Ende der Regelung für entsandte Imame angekündigt. Gegenwärtig sind rund 300 von ihnen im Land tätig, die aus der Türkei, Marokko und Algerien stammen.

Auf Ersuchen des Staatsoberhauptes muss der Französische Rat des muslimischen Kultes (CFCM) innerhalb von sechs Monaten auch eine Kennzeichnung der Ausbildung der Imame sowie eine Charta verabschieden, deren Nichtbeachtung zu deren Annullierung führt.

Dennoch betrifft der Terrorismus nicht nur den Westen, ganz im Gegenteil: 91,2 Prozent der durch islamistische Anschläge verursachten Todesfälle sind in muslimischen Ländern zu verzeichnen. Dies geht aus einer Studie der Stiftung für politische Innovation hervor, die sich mit Anschlägen im Zeitraum 1979-2019 befasst.

„Das ist kein Konflikt zwischen dem Islam und dem Christentum“, sagte Merkel auf der Konferenz am 10. November. Es kommt darauf an, “dass unser demokratisches Gesellschaftsmodell mit terroristischem und undemokratischem Verhalten umgehen muss.“

Von rechtsextremen Akteuren verübte Anschläge wie der Anschlag in Avignon Ende Oktober oder der Anschlag in Christchurch im Jahr 2019 sollten ebenfalls in die Überlegungen einbezogen werden, denn Hass basiert weder auf Religion noch auf Vernunft an sich.

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